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Überlegungen zu Justitia 4.0 / BEKJ
aus Anwalts-Perspektive

1. Die nachfolgenden konkreten Überlegungen zu den möglichen Auswirkungen von Justitia 4.0 auf Anwaltskanzleien sollen die Auseinandersetzung mit diesem Thema fördern.

Resultat einer Frageliste zum e-Obligatorium für RA*innen (2019)

Siehe auch @ekanzlei

Medienmitteilung des BAV zu Justitia 4.0 vom 08.07.2022

2. Im Zusammenhang mit Justitia 4.0 werden gewisse Aufgaben von den Behörden an Rechtsanwält/innen ausgelagert. So unter anderem das Scannen von analogen Unterlagen zur elektronischen Übermittlung an Behörden. Scannen ist nicht dasselbe wie Kopieren. Scannen ist ein anspruchsvoller, fehleranfälliger und kostspieliger Vorgang. Fragen: Welche Regeln sind beim Scannen von analogen Unterlagen durch RA einzuhalten (Sorgfaltspflicht)? Die Technische Richtlinie Resiscan (TR Resiscan)? Falls die TR Resiscan nicht vollständig eingehalten werden sollte/müsste, welche der Vorgaben der TR Resiscan sind konkret nicht einzuhalten?

Link zur TR Resiscan

Link zur zur JBIG2-Studie der KOST/CECO

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3. Eine weitere Aufgabe, die von Behörden an Rechtsanwält/innen ausgelagert wird, ist das Ausdrucken von Akten für die anwaltlich vertretene Partei, die selbst nicht mit der digitalisierten Akte arbeitet bzw. arbeiten kann. Dies mag bei Rechtsschriften im besten Fall recht einfach sein. Bei elektronischen Beweismitteln wie bspw. einer signierten Email im Format .eml (Eigenschaften der Signatur, Quellcode, Mailheader, etc. sowie Eigenschaften allfällige Beilagen zusätzlich sichtbar machen) oder u.U. bei einem .jpg-File (zusätzliches Sichtbarmachen und Übermitteln der File-Metadaten) ist damit mehr Aufwand verbunden. Auf Behördenseite werden gewisse Unterlagen "beglaubigt" werden, bevor sie der nicht anwaltlich vertretenen Partei in Papierform übermittelt werden. Die Frage aus der Perspektive von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ist: Welche Anforderungen an diese Konvertierung "elektronisch zu Papier" sind zu erwarten (Sorgfaltspflicht)?

Beispieldateien Ausdruck eines Emails inkl. Anhang

Link zu einem Aufsatz von Kollege Lukas Fässler (Durchklick 9/2014)

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4. Folgekostenabschätzung für die Anwaltskanzlei: Eine Übersicht über die von den Behörden an die Anwaltschaft ausgelagerten Aufgaben ebenso wie die neuen Aufgaben, die mit Justitia 4.0 direkt oder indirekt einhergehen, ist für eine Folgekosten-Abschätzung zentral. Es wäre naiv, davon auszugehen, dass die "Digitalisierung" in der Anwaltskanzlei per se zu einer Kostensenkung und zu weniger Aufwand führen würde.

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5. Soweit behördliche Aufgaben im Zusammenhang mit Justitia 4.0 an Rechtsanwält/innen ausgelagert werden, stellt sich die Frage nach der Entschädigung. In Deutschland hat es die BRAK (Bundesrechts-Anwaltskammer) bislang nicht geschafft, das Scannen mit einem vergütungsrechtlichen Ersatzanspruch zu verknüpfen (siehe deutsches Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG). Ein Scan gemäss TR Resiscan löst pro Seite Kosten in der Höhe von rund 90 Rappen aus (Vollkostenrechnung der Advokatur Schreiber vom Juni 2020). Zum Vergleich: Der Aufwand für notwendige Fotokopien kann mit 40 Rappen pro Kopie in Rechnung gestellt werden. Ebenfalls entschädigt werden muss die Konvertierung "elektronisch zu Papier", falls der anwaltlich vertretene Klient die Akten nicht in elektronischer Form konsultiert bzw. konsultieren kann.

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6. Elektronische Beweismittel unterscheiden sich von analogen Beweismitteln. Während heute vielfach elektronische Beweismittel (bspw. Emails) nur analog verfügbar sind, werden künftig vermehrt elektronische Beweismittel in Verfahren eingespiesen werden. In der Anwaltskanzlei geht es künftig auch darum, sorgfältig mit elektronischen Beweismitteln umgehen zu können. Grundkenntnisse der digitalen Forensik sind dazu unabdingbar.

Aufsatz Momsen/Hercher: "Digitale Beweismittel im Strafprozess"

Aufsatz Schreiber: "Praktische Aspekte zur Umsetzung des elektronischen Notariats"

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7. Elektronische Beweismittel fallen in allen möglichen Formaten an: msg-Dateien für Emails, Access-Files (Datenbanken), signierte Word- und XML-Dateien, und so weiter. Das Konvertieren von Dateien in andere Formate ist ein aufwändiger Vorgang, der immer mit Veränderungen der Dateien einhergeht. Für Anwaltskanzleien ist es deshalb zentral, dass mit Justitia 4.0 kein Datei-Format-Numerus clausus eingeführt wird. Weiter ist es zentral, dass die empfangende Plattfom von Justitia 4.0 die eingereichten elektronischen Beweismittel nicht verändert.

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8. Auch die Unterlagenführung verändert sich in der elektronischen Anwaltskanzlei, die mit Justitia 4.0 einhergeht. Ein Trennung von e-Beweismittel-Speicherinfrastruktur und Speicher-Infrastruktur für die übrigen Unterlagen der Anwaltskanzlei drängt sich u.a. dann auf, wenn einschlägige Inhalte bspw. im Rahmen eines Strafverfahrens gespeichert werden sollen (Strafbarkeit des Inverkehrbringens via Server) oder wenn ein Löschen von Unterlagen zugesichert werden soll. Auch das Meta-Daten-Management ist von Bedeutung, damit gesteuert werden kann, welcher Adressat von welchen Datei-Metadaten Kenntnis haben soll - oder eben keine Kenntnis haben soll.

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9. Die geplante zentrale Portal von Justitia 4.0 wird Daten(darunter voraussichtlich auch besonders schützenswerte Personendaten und berufsgeheimnisrelevante Daten) zu Rechtsanwält/innen, deren Klient/innen sowie Daten zu Verfahren verwalten bzw. übermitteln - und zwar schweizweit. Eine formelle gesetzliche Grundlage müsste regeln, wer welche Daten bearbeiten darf. Dürfte beispielsweise eine Anwaltsaufsichtsbehörde die System-Metadaten konsultieren, um festzustellen, ob ein RA bei anderer Gelegenheit bereits schon einmal eine Frist verpasst hat?

Link zum BJ-Gesetzgebungsleitfaden 2019

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10. Falls mit Justitia 4.0 ein Obligatorium für elektronische Eingaben eingeführt würde, könnten Eingaben an Gerichtsbehörden fristwahrend nur noch elektronisch über eine zentrale Plattform eingereicht werden. Ein Upload über eine solche Web-Plattform kann aus unterschiedlichen Gründen fehlschlagen. Ein Browser kann im Austausch mit der Plattform Probleme verursachen. Die Plattform kann selbst Funktionsfehler aufweisen. Die Suche nach der Ursache einer Fehlfunktion ist oftmals auch für die Entwickler keine einfache Aufgabe. Für Rechtsanwält/innen ist es deshalb zentral, dass ihnen unter keinen Umständen eine Beweislast für das Nicht-Funktionieren der zentralen Plattform auferlegt wird. Funktioniert die Plattform nicht, muss immer ein alternativer Übermittlungsweg zur Verfügung stehen, der eine fristwahrende Übermittlung (elektronisch und in Papierform) ohne Zeitverlust ermöglicht. Die Fehlersuche ist Aufgabe der Betreiber der Plattform.

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11. Künftig werden Entscheide/Urteile in elektronischer Form ausgestellt. Es gibt Entscheide, die auch nach Jahrzehnten noch in der ursprünglichen Form konsultierbar sein müssen. Damit stellt sich die Frage, wie alle diese elektronisch signierten Urteile/Entscheide in eine geeignete elektronische Langzeitarchivierung überführt werden, die eine Validierung (von wem wurde das Urteil gezeichnet? wurde das Urteil nach der Unterzeichnung verändert? etc.) auch Jahrzehnte später noch ermöglicht. Derzeit werden Urteile/Entscheide von Behörden nicht systematisch dauerhaft aufbewahrt, vielfach findet vorgängig eine Bewertung statt (bspw. Aufbewahrung eines Samples oder einer Selektion von Urteilen/Entscheiden). Heute ist es den Parteien möglich, ein Urteil in Papierform dauerhaft aufzubewahren. Ein elektronisches File hingegen ist dauerhaft nur lesbar, wenn es in eine elektronischen Langzeitarchivierung überführt wird.

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